Kritik: Maßnahmen sind ein Eingriff in ein System. Wenn die Maßnahmen nur ein Ziel berücksichtigen und dieses kompromisslos minimieren, kann der gesamte Schaden höher sein als der Nutzen.
Stellen wir uns vor, eine Frau ist sehr übergewichtig, möchte abnehmen und geht mit diesem Anliegen zum Arzt. Die Frau sagt zu ihrem Arzt, sie möchte abnehmen und das mit möglichst wenig Mühe. Der Arzt hört ihr Anliegen, versteht die beiden Ziele "Abnehmen" und "wenig Mühe" und empfiehlt daraufhin die Amputation ihres Beines mit der Begründung, diese Maßnahme würde optimal ihre Ziele erfüllen. Die angegebenen Ziele, deren alle anderen Faktoren für Gesundheit kompromisslos untergeordnet sind, werden ja optimiert. Natürlich ist diese Analogie sehr überspitzt, zeigt jedoch die reale Gefahr einer misslungenen Definition der Zielfunktion. In komplexeren Systemen ist das Finden eines geeigneten Zieles eines der wichtigsten und nicht immer einfachsten Punkte. Es muss explizit angegeben werden, was zu optimieren ist. Wenn wichtige Nebenbedingungen fehlen, können die Ergebnisse unter Umständen zu überraschenden Effekten führen!
Das Beispiel des „Tunnelblick-Experten“ der kompromisslos nur ein primäres Ziel verfolgt und eine Bein-Amputation empfiehlt, ist auch nicht aus der Luft gegriffen. Im Fall von CoViD-19, empfehlen einige Experten massive Einschränkungen des öffentlichen Lebens, um das primäre Ziel der Senkung der Sterblichkeit aufgrund von CoViD-19 zu senken. Weitere Nebenbedingungen werden nicht beachtet, wie die Einhaltung von regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, Bildung, wirtschaftliche Stabilität, Ermöglichung von sozialen Kontakten mit Gleichaltrigen für junge Menschen, Sport, Schwimmunterricht, Meinungsfreiheit, Demonstrationsrecht, und viele weitere.
Bei einem Eingriff in ein empfindliches System sollte also in einem möglichst breiten Diskurs alle möglichen direkten und indirekten Konsequenzen des Eingriffes diskutiert werden. Wenn die Vorteile die Nachteile klar überwiegen, kann die Maßnahme angestrebt werden. Dazu passt ein hypothetisches Rechenbespiel:
Wir nehmen an, durch massive Maßnahmen kann die Anzahl der "an und mit CoViD-19" Verstorbenen um 40% reduziert werden.
Gleichzeitig würden diese Maßnahmen Vorsorgeuntersuchungen erschweren, Vorerkrankungen wie Übergewicht
erhöhen und aufgrund von vermehrten Unsicherheiten zu mehr stressbedingten Problemen führen.
Die zusätzliche Erhöhung der Sterblichkeit aufgrund der Maßnahmen wird mit 4% für alle anderen Krankheiten angenommen
(natürlich sind beide Annahmen nicht realistisch, jedoch hilfreich.
Man bedenke, dass einige Regionen mit wenig massiven Maßnahmen keine oder nur eine gering höhere
(also keine signifikante) Sterblichkeit aufweisen 2).
Die (historischen) Sterblichkeitszahlen für Österreich im Jahr 2020 sind dabei 6 477 mit und an COVID-19,
und 90 517 - 6 477=84 040 ohne COVID-19 1.
Die hypothetische Senkung von 40% der COVID-19 Verstorbenen führt also zu etwa 3 886 an und mit COVID-19 Verstorbenen.
Die hypothetische Erhöhung der Sterblichkeiten aller anderen Krankheiten um "nur" 4% führt jedoch zu etwa
84 040 * 1,04 = 87 402. In Summe ergeben sich also mit Maßnahmen insgesamt 91 288 Verstorbene,
also um fast 1000 Menschen mehr als die 90 517 welche der Statistik entnommen worden sind.
Natürlich ist es uns bewusst, dass dies eine sehr vage Abschätzung ist, jedoch sollte hilft diese
Heuristik um zu erkennen, dass der Schaden sehr schnell den erhofften Nutzen von Maßnahmen übersteigen kann!
Im Jahr 2020 Betrug die Übersterblichkeit etwa 10%, wobei etwa 2/3 davon "an oder mit CoViD-19" verstorben sind 1. Das bedeutet, dass die Übersterblichkeit auch ohne Betrachtung der "an oder mit CoViD-19" Verstorbenen bei etwa 3% bis 4% liegen würde (zum Vergleich, im obigen Rechenbeispiel wurden 4% angenommen). Dazu kommen mehrere langfristige gesundheitliche Probleme welche sich erst in den Folgejahren bemerkbar machen werden. Ebenfalls belegen zahlreiche Studien (nicht zitiert) über die riesigen positiven Effekte von sozialen Kontakten auf die physische und psychische Gesundheit. Insbesondere werden sich die reduzierten physischen Kontakte von Kindern und Jugendlichen mit Gleichaltrigen auf zukünftige Krankheitsbilder auswirken. Es ist daher unbedingt abzuschätzen, ob die derzeitigen und zukünftigen Maßnahmen verhältnismäßig sind!
- 1: Statistik Austria, Pressemitteilung: 12.453-044/21: https://www.statistik.at/web_de/presse/125475.html (2021-04)
- 2: Our World in Data, COVID-19 Data Explorer: https://ourworldindata.org/explorers/coronavirus-data-explorer?zoomToSelection=true&time=2020-03-01..latest&pickerSort=asc&pickerMetric=location&hideControls=true&Metric=Confirmed+deaths&Interval=7-day+rolling+average&Relative+to+Population=true&Align+outbreaks=false&country=NCL~SWE~AUT~DEU~SWE~USA~Europe~CHE (2021-05)